Eng an eng standen zwei Mainzer Spieler nach Abpfiff beisammen, sie waren sehr glücklich und sehr gezeichnet. Rechts Leandro Barreiro, dessen großes weißes Pflaster auf der Stirn die Platzwunde bedeckte, die er nach einem Ellbogencheck von Robert Lewandowski erlitten hatte. Links Jonathan Burkardt, der noch in der ersten Hälfte von Leon Goretzka umgesenst worden war und in der zweiten Halbzeit nicht mehr mitspielen konnte. Blessuren, die sie gut verschmerzen konnten an diesem Nachmittag, an dem Mainz lachte und Bayern schmollte.
Dabei war ja alles bereit für die große Meistersause der Bayern, ein Sieg beim Abstiegskandidaten zur finalen Entscheidung im Titelrennen schien im Bereich des Wahrscheinlichen. Trainer Hansi Flick hatte bei der Pressekonferenz tags davor noch scherzend seinen Medienbeauftragten gefragt, ob man für eine rauschende Nacht nach der Rückkehr am Samstagabend eigentlich schon das »P1« gebucht habe, Münchens altehrwürdige Edel-Disco am Haus der Kunst. Und auch mannschaftsintern machte bereits der Plan die Runde, die 430 Kilometer zurück nach München nicht im Flieger zurückzulegen, sondern bei reichlich Kaltgetränken im Team-Bus. Dass beim Bejubeln des neunten Titels in Serie Spontanität gefragt sei, hatte Flick auch noch gesagt.
Ganz spontan fielen die Münchner Partypläne aber aus. Stattdessen feierte nur Mainz. Und das völlig verdient.
Man musste nur an das Hinspiel in München Anfang Januar denken und die beiden Partien miteinander vergleichen, um die phänomenale Wandlung dieser Mainzer Mannschaft in den vergangenen Monaten zu sehen. Von einem Abstiegskandidaten mit rustikalen Qualitäten und zielstrebigem Drang in die Zweitklassigkeit hin zu einer gereiften Bundesligamannschaft mit viel Freude, Leidenschaft und Spielwitz.
Auch damals lag Mainz mit zwei Toren zur Halbzeit vorne, bevor sich die Bayern in einem wilden Furor bitterlich für die Schmach der ersten Hälfte rächten und gegen die bedauernswerten Gäste noch 5:2 gewannen. Dreieinhalb Monate später war es nun war ein ganz anderes Spiel, in der ersten Hälfte verhinderten zwei Pfostentreffer eine höhere Mainzer Führung, bevor sie mit Leidenschaft und Begeisterung den Sieg verteidigten. Mehr als das Anschlusstor durch Robert Lewandowski in der Nachspielzeit war für die Bayern nicht mehr drin. Dass Mainz siegt und lacht und das nun schon sehr oft in jüngster Vergangenheit, ist vor allem ein Verdienst des Trainers Bo Svensson.
Nach dem 2:5 in München hatte der Däne übernommen, und zunächst sah es nach einer Fortsetzung der Talfahrt Richtung Abstieg aus. Die Mannschaft holte in den ersten drei Spielen unter dem neuen Coach nur einen Punkt und beendete die Hinrunde punktgleich mit Schalke 04. Doch mit dem furiosen 3:2 gegen Leipzig als Initialzündung ging es plötzlich aufwärts. Nun ist die Mannschaft seit sieben Spielen ungeschlagen, das 2:1 gegen die Bayern war der dritte Sieg in Folge, in der Rückrundentabelle liegt Mainz mit 27 Punkten auf Platz vier. Noch vor Dortmund.
»So wie er mit dem Team arbeitet und die Mannschaft einstellt, ist er sicher ein ganz großer Schlüssel zum Erfolg«, sagte Sportdirektor Martin Schmidt am Samstag über den Trainer, der von seinen Spielern permanent maximale Wachsamkeit fordert und der kürzlich sagte: »Mein Verständnis von Fußball ist, dass es keine Pausen gibt. Das bedeutet nicht, dass du immer laufen musst, aber du musst dir immer Gedanken darüber machen, welche Position sich für dich in diesem Moment am meisten lohnt.« Und genau das zeigte sich gegen die Bayern wie bereits in den Wochen zuvor.
Torwart Robin Zentner sprach später noch über die Ansage in der Kabine vor Spielbeginn. »Der Trainer gab uns nur mit auf den Weg, dass es ein geiles Spiel wird und wir uns mit den Besten messen können, wenn wir auf jeder einzelnen Position alles reinhauen.« Was sie dann auch taten. Nicht mit Hauruck-Fußball, sondern mit spielerischer Klasse, kombiniert mit dem Einsatzwillen eines Teams, das dem Abstieg unbedingt entgehen möchte.
Bezeichnend für das neue Verständnis in Mainz war die Szene zehn Minuten vor Abpfiff, als Svensson Stürmer Karim Onisiwo vom Platz nahm und ihn freudig umarmte, als hätten sie das Spiel schon gewonnen. Andere Trainer hätten in so einem Moment noch gewarnt, zehn Minuten plus Nachspielzeit, die können so lang sein. Es wäre auch naheliegend gewesen, für Onisiwo einen Defensivspezialisten zu bringen. Doch stattdessen wechselte Svensson positionsgetreu und schickte mit Robert Glatzel erneut einen Angreifer aufs Feld. Auch das so ein Signal des neuen Selbstbewusstseins bei den Mainzern.
Bei den Bayern war davon bei und nach ihrem indisponierten Auftritt nicht viel zu sehen. Grimmig verzogen sie sich danach in die Kabine, bevor Trainer Flick das Spiel als verschmerzbaren Ausrutscher kategorisierte. »Solche Spiele sind immer drin, man kann verstehen, dass die Spieler nach dem Jahr auch müde sind.« Viel passiert ist in der Tat nicht, dann werden die Bayern eben bei einer Leipziger Niederlage am Sonntag vor der Glotze Meister oder am nächsten Spieltag daheim gegen Gladbach. Das dürfte der Gemütszustand bei den Münchnern sein.
Für Mainz hingegen wird wohl jedes der restlichen vier Spiele ein Finale. Was er schätze, wie viele Punkte sie noch bräuchten, wurde Svensson noch gefragt: »Keine Ahnung«, sagte er, »in Mathe war ich in der Schule nie gut.« Muss auch nicht sein. Wenn sie weiter gewinnen, brauchen sie auch nicht mehr zu rechnen. Sie müssen nur hellwach bleiben. Pausenlos.