Wer als Frankfurter bei derzeit sieben Punkten Vorsprung auf den Fünften auf die Tabelle schaut, darf träumen: von der Champions League, von einem Spiel beim FC Barcelona, vom FC Liverpool als Gast.
Doch wenn die Eintracht mehr als 60 Jahre nach ihrer bislang letzten Partie wohl wieder in der Königsklasse antritt, wird nicht mehr der Trainer an der Seitenlinie stehen, der diesen Erfolg möglich gemacht hat. Adi Hütter verlässt den Klub Richtung Mönchengladbach. Eine Entscheidung pro Sofa und kontra Champions League – bei derzeit 13 Punkten Rückstand auf die Eintracht werden die Gladbacher in der kommenden Spielzeit dienstags und mittwochs freihaben.
Und doch eine Entscheidung, die folgerichtig ist. Wenn Hütter das scheinbare Maximum aus einem Klub herausgeholt hat, zieht er weiter. So hat er es in seiner Karriere immer gehandhabt. Das wirkt auf Außenstehende selbst für das harte Geschäft Profifußball irritierend unsentimental, bislang hat sich dieses Vorgehen für den 51-Jährigen aber stets ausgezahlt.
Mit dem österreichischen Provinzklub SV Grödig war er 2012/2013 in die erste Liga aufgestiegen, im Folgejahr erreichte das Team als Dritter sensationell die Qualifikationsrunde zur Europa League – und Hütter ging nach Salzburg.
Dort holte er das Double, die Teilnahme an der Champions League winkte. Doch weil er nach den Abgängen von Péter Gulácsi, Stefan Ilsanker und anderen die sportliche Qualität nicht mehr gegeben sah, vereinbarte er mit Sportdirektor Ralf Rangnick die Trennung. Gleiches Spiel bei den Young Boys Bern: Mit den Schweizern holte er die erste Meisterschaft nach 32 Jahren – und verließ den Klub gen Frankfurt.
Nie blieb der 14-malige österreichische Nationalspieler länger als drei Jahre bei einer Station. Neuen Optionen steht Hütter aufgrund einer »verpassten Chance« offener gegenüber als andere, wie er einst erklärte: Als Spieler ging er das Wagnis eines Auslandswechsels nicht ein, ein Trauma, das den Trainer Hütter seitdem begleitet: »Raus aus der Komfortzone«, wie er es stets öffentlich nannte, wann immer es geht.
Drei Jahre werden es am Ende auch bei Eintracht Frankfurt gewesen sein. In dieser Zeit spielte die Eintracht, die Hütter vom nach München abgewanderten Niko Kovač übernommen hatte, begeisternden Fußball, erreichte das Halbfinale der Europa League, steht kurz vor dem Erreichen der Königsklasse.
Doch Hütter ist der emotionale Lohn zu gering in Abwägung mit den Unsicherheiten, die auf den Klub warten: Der Abgang von Sportdirektor Bruno Hübner steht schon länger fest, Sportvorstand Fredi Bobic zieht es zu Hertha BSC. Sein Abschied ist unausweichlich, nur um die Ablöse wird noch gefeilscht.
Und was ist mit den Leistungsträgern? Toptorschütze André Silva weckt europaweit Begehrlichkeiten, ebenso der überragende Filip Kostic. Bereits einmal musste Hütter die Abgänge des Traumangriffs Luka Jović, Ante Rebić und Sébastien Haller kompensieren. Ohne Bobic an seiner Seite sah er die Wiederholung dieses Kraftakts wohl als nicht wahrscheinlich an. »Immer nach Höherem streben«, hat Hütter in einem Interview vor einigen Jahren als Maßgabe formuliert. Höher geht es bei der Eintracht nicht mehr.
Erwartbares Umfeld statt Risiko
Stattdessen wählt Hütter das, was ihn in Frankfurt drei Jahre lang hat sehr gut arbeiten lassen: ein stabiles Umfeld. Gladbachs Sportdirektor Max Eberl ist seit knapp 13 Jahren im Amt. Der Vertrag des unumstrittenen Machers beim fünfmaligen Deutschen Meister wurde erst jüngst bis Mitte 2026 verlängert.
Zudem stimmt die Qualität des Kaders, den Hütter vorfinden wird. Mit diesem dürfte er in der kommenden Saison aller Erwartung nach besser dastehen als sein Vorgänger Marco Rose. Eine Erwartung an ein »Mehr«, die er bei der Eintracht nicht mehr mit Leben gefüllt sah.
Seinen zukünftigen Ex-Klub werden die kolportierten 7,5 Millionen Euro als Ablöse nur wenig trösten. Diese waren nach Informationen der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« in den erst im vergangenen Herbst bis zum 30. Juni 2023 verlängerten Vertrag Hütters hineinverhandelt worden. Im Gegenzug erhielt er eine Ausstiegsklausel. Die Ende Februar getätigte Aussage »Ich bleibe!« – unerfüllt. Hütter hat die Ausstiegsklausel gezogen.
Handlungsunfähigkeit bei der Eintracht
So rosig sich die aktuelle sportliche Situation bei der Eintracht darstellt, so delikat ist sie nun plötzlich auf der Führungsebene. Die Suche nach einem neuen Trainer ist die Aufgabe des Sportvorstands. Doch die Frankfurter müssen erst einmal einen solchen finden. Dies fällt wiederum in den Beritt des Aufsichtsrats um Chef Philip Holzer. Die Zeit drängt. In nicht einmal sechs Wochen ist die Saison beendet, jetzt muss bereits die kommende Spielzeit vorbereitet werden. Ein denkbar schlechter Zeitpunkt für Handlungsunfähigkeit.
Mut machen kann der Eintracht dabei der Blick auf die vorherigen Stationen Hütters: Salzburg wiederholte auch ohne Hütter dessen Erfolge, die Young Boys aus Bern hielten ebenfalls ihr Niveau und konnten auch 2019 und 2020 den Titel holen. 2021 fehlt ihnen dazu noch ein Sieg aus acht Partien.
Nur den SV Grödig, dort wo Hütters erfolgreiche Trainerkarriere begann, nachdem er zuvor nicht mit dem gewünschten Erfolg den SCR Altach betreute, sollte man sich lieber nicht zum Vorbild nehmen: Der Klub spielt mittlerweile in der Regionalliga Salzburg und misst sich mit so illustren Klubs wie USK Maximarkt Anif und TSV McDonald’s St. Johann. Dann doch lieber erst einmal Messis Barcelona und der FC Liverpool.