»Die Glaubwürdigkeit des Fußballs wird mit Füßen getreten«
Plötzlich ist die Debatte über den Fußball und seine Sonderrolle in der Pandemie wieder laut und allgegenwärtig. Die Diskussion, ob im Fußball der Hochmut die Demut verdrängt, obwohl er sich doch demütiger geben wollte. Angefacht wurde sie durch die Europäische Fußball-Union (Uefa), die die Teams im Europapokal quer über den Kontinent schickt auf der Suche nach einer Lücke im Netz der Risikogebiete. Aber auch der FC Bayern hat einen großen Anteil daran.
Die Bayern sind gerade – ob gewollt oder nicht – Wortführer in einer Debatte, die der Fußball eigentlich länger nicht mehr führen musste. Er war privilegiert, weil er anders als andere Branchen seinen Betrieb aufrechterhalten durfte. Und die Öffentlichkeit hatte sich daran gewöhnt. Doch nun gibt es wieder Kommentare über die verlorene Bodenhaftung (auch vom SPIEGEL) und eine fragwürdige Selbsteinschätzung des Fußballs (»Es wäre schön, wenn der Profifußball nicht inmitten dieser Pandemie seinen letzten Funken Anstand verlöre«, heißt es im Deutschlandfunk).
Aber wie findet das eigentlich der Rest der Fußballbranche in Deutschland?
Helen Breit ist Sprecherin des Fanbündnisses »Unsere Kurve«. Sie war eine von 37 Mitgliedern in der Taskforce »Zukunft Profifußball«, die, einberufen von der Deutschen Fußball Liga (DFL), Vorschläge erarbeitet hat, wie der Sport nachhaltiger und bodenständiger werden könnte. In den Maßnahmen der Uefa und den Äußerungen von Rummenigge und Flick sieht Breit »eine neue Dimension der Absurdität«. Dem SPIEGEL sagte Breit: »Man war bereits vorher nicht demütig, aber da hat man noch versucht, öffentlich behutsamer vorzugehen.« Die Fanorganisationen sind generell keine Freunde davon, dass der Profifußball in der Coronazeit weiterspielt. Nun, so Breit, überrasche sie vor allem »die fordernde Position« der Bayern.
Sonderrolle der Bayern oder des Fußballs
Doch die Liga und andere Vereine blieben bisher weitgehend stumm – zumindest offiziell.
Dabei gibt es durchaus Kritik innerhalb der Bundesliga am Vorgehen der Bayern. Aber sie wird nur hinter vorgehaltener Hand geäußert. Das offene Visier wagt niemand. »Die Äußerungen Flicks waren wenig hilfreich«, sagte der Manager eines Bundesligisten dem SPIEGEL, aber auch er will sich nicht namentlich zitieren lassen. Auch dass Rummenigges Äußerungen zur Impffrage »daneben« waren, bleibt eine Hintergrund-Äußerung.
Freiburgs Vorstand Oliver Leki ist im SWR-Fernsehen am Sonntag von Rummenigges Impfvorstoß mit dem Satz »Ich würde das anders einschätzen« zwar abgerückt, aber auch das wurde sehr vorsichtig ausgedrückt. Hinter den Kulissen und dem SPIEGEL gegenüber hieß es von einem Bundesligisten in Richtung Rummenigge: »Einfach mal den Mund halten.« Sich öffentlich mit den Bayern anzulegen und dann noch bei dem ohnehin so heiklen Thema Corona, das wagt in der Bundesliga so gut wie niemand.
Für Helen Breit von »Unsere Kurve« hat das Folgen: »Solange sich niemand anderes aus der Liga hinstellt und sich davon distanziert, entsteht der Eindruck, dass dies als Stimme des Fußballs gelten soll«, sagt die Fanvertreterin. Aus der Sonderrolle des FC Bayern, die im Streit über das Nachtflugverbot vom Berliner Flughafen nach der Partie bei Hertha BSC noch thematisiert wurde, wird so die Sonderrolle des Fußballs.
Auch die DFL scheut die Kontroverse
Auch die DFL will sich zu den Fällen Rummenigge und Flick auf Nachfrage nicht äußern. Dabei war es Liga-Chef Christian Seifert, der im April 2020 eine neue Demut der Branche propagierte (»Wir wollen nicht einfach nur irgendwie durch die Krise kommen und dann weitermachen wie bisher«).
Das Schweigen jetzt hat mehrere Gründe: Der FC Bayern ist eine gewichtige Stimme innerhalb des Ligaverbands, traditionell extrem einflussreich und mit sehr guten Verbindungen zum Liga-Boss. Im DFL-Präsidium sitzt mit Jan-Christian Dreesen zudem ein Bayern-Vertreter.
Seifert hat die Großklubs zumeist protegiert, weil er glaubte, dass die Vermarktung der Liga stark vom FC Bayern und Borussia Dortmund abhängt. Er hat verkündet, seinen im Juni 2022 auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern. Intern geht man davon aus, dass bereits ab Januar 2022 ein Nachfolger eingearbeitet werden soll. In einer solchen Konstellation beginnt Seifert jetzt keinen Konflikt mit Rummenigge.
Außerdem will man bei der DFL vermeiden, mit einem Statement das Thema noch größer zu machen.
Obwohl sich die DFL nicht offiziell äußert, gibt es innerhalb des Ligaverbands Funktionäre, welche die Äußerungen von Rummenigge äußerst kritisch sehen. »Unsere gesamte Arbeit der vergangenen Monate wird hier beschädigt«, sagte ein DFL-Funktionär dem SPIEGEL und meint die Überzeugungsarbeit, dass der Fußball mit den ihm gewährten Privilegien behutsam umgeht.
»Die Glaubwürdigkeit des Fußballs, für die wir auch mit der Taskforce kämpfen, wird hier mit Füßen getreten. Das ist wirklich ein Desaster.«