Wenn die Ministerpräsidenten alle zwei bis drei Wochen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Corona-Politik reden, bleibt der Öffentlichkeit nur wenig verborgen. Aus den Videoschalten sickert mittlerweile so viel an Journalisten heraus, dass Teilnehmer scherzhaft vorschlagen, man solle die Runden doch live im Fernsehen übertragen. Dann könne sich wenigstens jeder Zuschauer selbst ein Bild machen.
Ernst gemeint ist dieser Vorschlag natürlich nicht. Doch gerade am vergangenen Dienstag zeigte sich wieder, wie wenig vertraulich die oft hitzigen Debatten mit der Kanzlerin sind.
Thüringens Landeschef Bodo Ramelow hat nun allerdings noch einen draufgelegt. In einer Gesprächsrunde der Social-Media-App Clubhouse am Freitagabend sprach der Linkenpolitiker freimütig über die Ministerpräsidentenkonferenzen (MPK). Laut Teilnehmern fragte der SPD-Vizechef Kevin Kühnert, wer denn in der MPK Candy Crush spiele. Darüber hatte der SPIEGEL im November berichtet, ohne Namen zu nennen. Ramelows Antwort: Das sei er selbst, »bis zu zehn Level« schaffe er während einer MPK.
Nur kurze Zeit später wurden Ramelows Zitate bei Twitter öffentlich. Am Samstagabend berichtete die »Welt am Sonntag« – und zog sich den Ärger des Linkenpolitikers zu. Er beklagt, einzelne Versatzstücke aus der Runde seien aus dem Kontext gerissen worden.
Das Mitschneiden und Transkribieren von Gesprächen aus dem sozialen Netzwerk ist laut den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der App verboten. Aber hat Ramelow wirklich gedacht, er könne mit Hunderten von Zuhörern ein Hintergrundgespräch wie mit einem kleinen Kreis von Journalisten führen?
Ramelow hat die Situation falsch eingeschätzt
Der Eindruck, den er mit seinen Zitaten in der Öffentlichkeit erweckt, ist in jedem Fall verheerend. Ohne Kontext klingt es so, als nehme Ramelow die MPK nicht besonders ernst. Dabei trifft die Runde Entscheidungen, die das Leben aller Menschen in der Bundesrepublik entscheidend verändern.
Teilnehmer der Gesprächsrunde bei Clubhouse berichten jedoch, so hätten sie Ramelow nicht verstanden. Er habe seine Sorge über die Dramatik der Coronakrise immer wieder deutlich gemacht. Auch von seinen Kollegen aus anderen Bundesländern heißt es, man könne Ramelow die Ernsthaftigkeit im Kampf gegen die Pandemie nicht absprechen.
Das Problem ist allerdings: Ramelow hat die Situation falsch eingeschätzt. Als Politiker bewegt er sich immer im öffentlichen Raum, vor allem in einem sozialen Netzwerk mit Tausenden Teilnehmern. Zwar gibt Clubhouse seinen Nutzern das Gefühl, privat unterwegs zu sein. Doch Ramelow sollte eigentlich Profi genug sein, um zu wissen, welche Wirkung seine Worte entfalten können.
Eine weitere Frage ist, wie die Betreiber damit umgehen, wenn gegen ihre Geschäftsbedingungen verstoßen wird. Laut dem Medienjournalisten Daniel Bouhs steht in den AGB von Clubhouse vor allem, dass bei Tonaufnahmen der Gespräche alle Teilnehmer schriftlich zustimmen müssten, damit diese verwendet werden können.
Bei Zitaten aus den Runden sei die Regelung dagegen nicht so klar. Wahrscheinlich sei, dass vor deutschen Gerichten das öffentliche Interesse höher eingeschätzt werde als die Geschäftsbedingungen der App, so Bouhs.
»Dann ist Clubhouse für Politiker tabu«
Es könne aber passieren, dass Clubhouse einzelne Nutzer sperre. »Sich dagegen zu wehren, könnte schwierig sein«, sagt Bouhs. Immerhin sitzen die Betreiber der App in den USA. »Clubhouse ist auf einem Stand wie Facebook vor zehn Jahren.«
Auch Ramelow formulierte am Sonntag Erwartungen an die Betreiber. Sie müssten begreifen, »welchen Hype sie da in Deutschland ausgelöst haben und ihre Konsequenzen daraus ziehen«, sagte er dem RND. »Wenn ich da meinen Regierungssprecher mitbringen muss, dann ist Clubhouse für Politiker tabu.«
Auch dieser Satz sagt wohl mehr über Ramelow aus als über die App.