Wissen

Die Mutante verändert alles

Der Weg aus dem Lockdown geht nur noch über die Mutante. Als die ansteckendere Virusvariante B.1.1.7 noch nicht so virulent war in unseren Köpfen, als auch ein Virologe noch trotzig davon sprach, dass wir uns das Leben nicht von dem Virus bestimmen lassen dürften, da war für viele die Welt fast schon wieder in Ordnung. Die Impfung wurde als ultimative Erlösung gepriesen.

Jetzt allerdings erleben wir als Gesellschaft schmerzhaft, was für die klinische Medizin und schwerkranke Menschen die bitterste Erfahrung ist: dass die Mutante alles verändert. Das Behandlungsschema, das man sich zurechtgelegt hat, ist nicht mehr zu halten. Die Schulmedizin kennt das sehr gut. Das wissenschaftliche Fundament, ihre Evidenzen, sind eine gute Basis für begründete Eingriffe, aber sie sind keine Erfolgsgarantie. Die Hoffnungen jedenfalls zu hoch zu schrauben, davor warnen erfahrene Ärzte prinzipiell.

In der Pandemie geht mit dem Impfdrama um den verschmähten Astra-Zeneca-Impfstoff und mit der rasenden Ausbreitung der ansteckenderen „britischen“ Sars-CoV-2-Variante inzwischen einiges in die falsche Richtung. Ein Albtraum löst den anderen ab. Das kann man ignorieren, wie das in der Öffnungsdebatte sogar einige Virologen tun. Und selbstverständlich kann man nach einem Lockdown, der vier Monate andauert, gute Gründe für Lockerungen anführen. Aber was kommt danach?

Viele Politiker bleiben beim alten Schema

Keine Frage: Die Verzweiflung der von der Pandemie geschädigten Menschen wächst. Und auch Virologen sind Menschen. Sie können ebenso wie die Fachverbände sehr wohl dafür eintreten, Restaurants wieder zu öffnen, oder für die flächendeckende Öffnung von Kitas oder Schulen als unausweichliche Maßnahme zur Rettung der sozialen und seelischen Hygiene plädieren. Aber vergessen werden sollte nie: Nicht der Lockdown, das Virus ist der Gegner. Es lebt mit uns, und dennoch wird es uns keinen Freundschaftsdienst erweisen – und zwar umso weniger, je mehr wir den Erreger gewähren lassen.

Die Entstehung und schnelle Ausbreitung der gefährlicheren Virusvarianten sollte das jedem vor Augen führen. Fallzahlen und Inzidenzen sind für viele dagegen immer noch zu abstrakt. Gefährlich abstrakt sogar, wenn man die leichtfertigen Deutungen des CDU-Vorsitzenden und Wahlkämpfers Armin Laschet sieht, der Inzidenzen als erfundene „Grenzwerte“ missdeutet und damit gezielt ihre eigentliche Funktion als Indikatoren des Infektionsgeschehens entwertet. Statt die Herausforderung der Virusvarianten konsequent anzunehmen, wie das auch die Impfstoffhersteller tun müssen, bleiben viele Politiker beim alten Schema: Der Impfstoff rettet uns, und die Öffnungsdebatte hilft im Wahlkreis.

Auf Impfeffekte dürfen wir kurzfristig nicht hoffen

Die ist auch gar nicht nötig. Der wegen der Mutantenausbreitung verordnete Lockdown hat in diesen Ländern schon großteils gewirkt. Und auch das ist ein Eintrag in die Lernkurve der Pandemiepolitik wert: Man kann auch die ansteckenderen Viren unter Kontrolle bringen, wenn konsequent und widerspruchsfrei gehandelt wird. Die Maßnahmen des sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer gehören nicht dazu. Der wollte möglichst als Erster die Schulen und Kitas öffnen und gleichzeitig den Osterurlaub wegen der Mutantenausbreitung in Frage stellen.

Mit dem Siegeszug der B.1.1.7-Variante in Südengland lässt sich anschaulich nachvollziehen, wie eng der Zusammenhang zwischen radikalen Schulöffnungen – und daraus folgend neuer Mobilität – und Infektionsgeschehen sein kann. In der Folge haben sich vor allem junge Engländer infiziert, und mehr junge Covid-19-Patienten mussten klinisch behandelt werden. Und: Der Lockdown gilt, obwohl schon ein Viertel der Briten die erste Impfdosis mit der Astra-Zeneca-Vakzine erhalten hat.

QUELLE

Related Articles

Back to top button