Scholz bewirbt sich mit Vier-Punkte-Plan ums Kanzleramt
Olaf Scholz ist beim digitalen Parteitag der SPD mit 96,2 Prozent der Stimmen als Kanzlerkandidat bestätigt worden. Zuvor hatte er in einer Rede seinen Anspruch bekräftigt, Regierungschef zu werden – und einen Vier-Punkte-Plan vorgestellt. Scholz möchte
- eine neue Autoindustrie in Deutschland aufbauen und den öffentlichen Nah- und Fernverkehr stärken;
- sich dafür einsetzen, den Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität sozialverträglich zu gestalten – zum Beispiel durch Beteiligung von Vermietern an steigenden CO2-Kosten;
- sich für eine beschleunigte Digitalisierung einsetzen, für eine Republik ohne Funklöcher, die ihre eigenen Geschäftsmodelle für das 21. Jahrhundert entwickelt;
- sich für ein effizienteres und gerechteres Gesundheitssystem starkmachen.
Dem derzeitigen Koalitionspartner, der Union, wirft Scholz schwere Versäumnisse in der Regierungsarbeit vor. »Eine weitere von CDU und CSU geführte Regierung wäre ein Risiko für Wohlstand und Arbeitsplätze – ein Standortrisiko für unser Land«, sagte er. Seine Partei hätte in der vergangenen Legislaturperiode weit mehr durchsetzen wollen, sei aber immer wieder an der Blockade der Union gescheitert.
Früher habe es bei den Konservativen geheißen, man stehe für Maß und Mitte, sagte Scholz. »Heute stehen sie für Maaßen und Maskenschmu« – eine Anspielung auf die Verwicklung mehrerer Unionsleute in dubiose Maskendeals und die Nominierung des früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen als CDU-Kandidat in Thüringen.
»Ich möchte eine Regierung anführen, die unser Land nach vorne bringt«, sagte Scholz. Er plädierte für einen auf zwölf Euro hochgesetzten Mindestlohn und eine gerechtere Besteuerung. Im Wohnungsbau strebe er 400.000 neue Wohnungen jährlich an, davon 100.000 im sozialen Wohnungsbau.
Scholz war bereits im August vorigen Jahres vom Parteivorstand als Kanzlerkandidat vorgeschlagen worden. Derzeit mutet es allerdings reichlich optimistisch an, dass die SPD künftig den Kanzler stellen könnte. Die Partei liegt mit 14 bis 16 Prozent um zehn Punkte oder mehr hinter Union und Grünen.
Die Grünen, die mit Parteichefin Annalena Baerbock erstmals in ihrer Geschichte eine Kanzlerkandidatin ins Rennen schicken, überholten zuletzt in manchen Umfragen die Union sogar. Für CDU und CSU soll Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident und CDU-Chef Armin Laschet das Kanzleramt erobern.
Die SPD erhofft sich von ihrem Bundesparteitag den Startschuss für einen Wahlkampf, der sie aus dem Umfragetief führt. »Heute ist Tag eins unserer Aufholjagd für die Bundestagswahl«, sagte Generalsekretär Lars Klingbeil zum Auftakt des digitalen Parteitages.
Deutschland stehe vor einer Richtungsentscheidung zwischen einer »progressiven Regierung« unter Scholz oder einem »konservativen Dornröschenschlaf«, sagte Parteichefin Saskia Esken. Klimawandel und demokratische Gestaltung der Digitalisierung seien große Herausforderungen, die einen aktiv handelnden und lenkenden Staat nötig machten.
Delegierte beschließen schärfere Klimaziele
Der Parteitag beschloss für das Programm zur Bundestagswahl auch schärfere Klimaziele. Bis spätestens 2045 solle Deutschland »komplett klimaneutral« sein, beschlossen die Delegierten mit einer Zustimmung von etwa 95 Prozent. Bis 2030 solle der Ausstoß von Treibhausgasen um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 verringert werden.
Angesichts eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Klimaschutzgesetz in Teilen verfassungswidrig ist, hatten in den vergangenen Tagen auch die Unionsparteien ähnliche Ziele ausgegeben. Die Entscheidung hatte Streit in der Bundesregierung ausgelöst – auch weil SPD-Minister ihre Kollegen der Union scharf attackierten.
Mit dem Parteitagsbeschluss vollzieht die SPD in ihrem Programm den Kurswechsel, den Kanzlerkandidat Scholz und Umweltministerin Svenja Schulze in der Bundesregierung vereinbart hatten. Eine von einem Basisantrag geforderte noch deutlichere Verschärfung mit dem Ziel einer Klimaneutralität bereits 2040 lehnte der digitale Parteitag mit 350 gegen 145 Stimmen bei 19 Enthaltungen ab.
SPD-Co-Chef Norbert Walter-Borjans griff die Union für ihre Klimapolitik scharf an. »Wer wie CDU und CSU in der Klimapolitik hin- und herspringt zwischen Vollbremsung einerseits und dann halsbrecherischen Überholmanövern auf der anderen Seite, der ist ein Fall für Flensburg, dem gehört der Führerschein entzogen«, sagte er. »Die müssen runter vom Steuer, das gilt auch in der Politik.« Die Union sei »ein Risiko für die Allgemeinheit« und schade dem Klima genauso wie der Wirtschaft, dem Wohlstand und dem Zusammenhalt.