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Im Namen der Freiheit

Im Artikel 20a des Grundgesetzes ist festgelegt, dass der Staat „in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere“ durch Gesetz und Recht zu schützen habe. Seit 1994 ist damit Umweltschutz als Staatsziel im Grundgesetz festgeschrieben. Debatten gab es immer, jetzt aber erst erschüttert dieser bahnbrechende Grundgesetzartikel das Land. Jetzt, da das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 24. März 2021 das Staatsziel revolutionär aufgewertet hat. Klimaschutz, so hat das höchste Gremium der deutschen Rechtsprechung festgelegt, muss vom Gesetzgeber so gestaltet und konkret gefasst sein, dass auch die Kinder, Enkel und Nachgeborenen ihre freiheitlichen Grundrechte in der Zukunft ausüben können. Das Prinzip Verantwortung im Verfassungsrang.

In der Brundtland-Kommission „Unsere gemeinsame Zukunft“ der UN war das Verantwortungs- und Vorsorgeprinzip des Philosophen Hans Jonas im ökologischen Kontext erstmals so aufgegriffen, wie es nun so ähnlich auch im Urteil des Ersten Senats zu finden ist: Die Entwicklung der Menschheit müsse so nachhaltig sein, hieß es 1987, „dass die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt werden, ohne die Fähigkeit künftiger Generationen aufs Spiel zu setzen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen“.

Beeindruckende Passagen eines epochalen Urteils

Nicht in allen Punkten wurde den jungen Aktivisten, die gegen das Bundes-Klimaschutzgesetz von 2019 Beschwerde eingelegt hatten, stattgegeben. Dem Staat bleibt Spielraum. Doch wie schon in den Niederlanden und Irland haben die acht Richter unter Vorsitz von Stephan Harbarth die Bewältigung der Klimakrise mit höchster Dringlichkeit ausgestattet. Und das Urteil lässt erkennen: Klimaschutz folgt keiner Verbotslogik, sondern sichert Freiheitsrechte. Besonders Paragraf 3 und 4 des Klimagesetzes, in denen das „Paris-Ziel“ und Emissionsmengen geregelt sind, haben die Verfassungshüter nach allen Regeln der wissenschaftlichen Kunst an nachprüfbaren Fakten gemessen. Dabei sind die Expertisen des Weltklimarats IPCC und des Sachverständigenrats für Umweltfragen – wie auch deren Unsicherheitsabschätzungen – vielfach in das 110-Seiten-Urteil eingeflossen. Von der Evidenz des Klimawandels zum normativen Prozess einer vorsorgenden Klimapolitik – wir dokumentieren im Folgenden die beeindruckendsten Passagen dieses epochalen Urteils:

„Ein unbegrenztes Fortschreiten von Erderwärmung und Klimawandel stünde aber nicht im Einklang mit dem Grundgesetz. Dem steht neben den grundrechtlichen Schutzpflichten vor allem das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG entgegen, welches die Gesetzgebung – verfassungsrechtlich maßgeblich – durch das Ziel konkretisiert hat, die Erwärmung der Erde auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.“

„So sind die notwendigen Freiheitsbeschränkungen der Zukunft bereits in Großzügigkeiten des gegenwärtigen Klimaschutzrechts angelegt. Klimaschutzmaßnahmen, die gegenwärtig unterbleiben, um Freiheit aktuell zu verschonen, müssen in Zukunft unter möglicherweise noch ungünstigeren Bedingungen ergriffen werden und würden dann identische Freiheitsbedürfnisse und -rechte weit drastischer beschneiden.“

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