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Selbstüberschätzung ist nicht nur schlecht

Im Durchschnitt gehören Schüler mit Migrationshintergrund zu den schwächeren Gruppen im deutschen Bildungssystem. Ihre schlechteren Leistungen sollten sich, so die Annahme der Bildungssoziologie, auch negativ darauf auswirken, wie sich ein Schüler selbst einschätzt. Man sollte hier einen Zusammenhang erwarten dürfen zwischen den tatsächlichen Leistungen eines Schülers, wie sie sich in Noten und Abschlüssen ausdrücken, und diesem Selbstkonzept. Aber so einfach ist es nicht. Dagegen spricht die bereits bekannte Beobachtung, dass gerade Schüler mit Migrationshintergrund ihr Leistungsvermögen positiver einschätzen als Schüler ohne einen solchen Hintergrund. Zumindest ist das für Grundschüler beobachtet worden. Hinsichtlich ethnischer Unterschiede im schulischen Selbstkonzept in der Sekundarstufe, also bis zur Klasse neun, ist für Deutschland bislang kaum etwas bekannt. Gilt diese Selbstüberschätzung auch für ältere Schüler, und was ist ihre Ursache?

Ambitionierte Bildungsziele

Manuel Siegert und Tobias Roth haben jetzt mit Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) von 2010 – neuere Daten liegen leider nicht vor – das schulische Selbstkonzept von Neuntklässlern an Gymnasien, Haupt-, Real- und Gesamtschulen untersuchen können, darunter eben auch von türkischstämmigen, deren Eltern also zugewandert sind, während sie selbst in Deutschland geboren wurden. Von ihnen ist bereits bekannt, dass sie häufig durchaus ambitionierte Bildungsziele haben und an den Übergängen häufig anspruchsvollere Bildungswege einschlagen als vergleichbare Mitschüler ohne Migrationshintergrund.

Diese deutlich optimistischeren Ziele würden, so die Vermutung bisher, durch die ebenfalls ambitionierteren Bildungsziele ihrer Eltern hervorgerufen. Aufstiegswille der Migranten und ein entsprechender Druck auf die eigenen Kinder sind aus allen Einwanderungsgesellschaften bekannt. Der positive Einfluss der elterlichen Erwartungen müsste also stärker sein als der eher negative Einfluss der Rückmeldungen aus dem schulischen Umfeld – wenn es diese Rückmeldungen denn gibt und sofern sie überhaupt zur Korrektur des Selbstkonzepts eingesetzt werden. Schließlich wäre es auch möglich, dass ausländische Kinder entsprechend ungünstige Leistungsrückmeldungen aus der Schule eher ignorierten, um ihr ohnehin nicht besonders stabiles Selbstvertrauen zu schützen.

Wer beeinflusst hier wen?

Die Studie bestätigt die Diskrepanz zwischen Leistungen und Selbstkonzept der Neuntklässler mit türkischem Hintergrund: Ihre Leistungen seien deutlich schlechter, ihr Selbstkonzept hingegen signifikant positiver als das von Schülern ohne Migrationshintergrund. Dabei falle dieser Unterschied am Gymnasium am höchsten, an Hauptschulen am geringsten aus. Diese Ergebnisse legten nahe, dass türkischstämmige Jugendliche in der Lage seien, sich trotz vergleichsweise widriger Umstände auch bis zum Ende der Sekundarstufe ein relativ positives schulisches Selbstkonzept zu bewahren. Stecken dahinter ambitionierte Eltern? Natürlich gebe es hier einen positiven Zusammenhang zwischen den wahrgenommenen Bildungswünschen der Eltern und dem Selbstkonzept ihrer Kinder, schreiben die Autoren. Aber für eine Gesamterklärung reiche das nicht aus. Es müsse noch andere Ursachen geben.

Da wäre einmal zu klären, ob es sich vielleicht um einen reziproken Effekt handelt. Die Daten des NEPS können nur einen Zusammenhang von Bildungswünschen der Eltern und dem Selbstkonzept der Jugendlichen nachweisen, nicht aber die Richtung dieses Zusammenhangs. Es wäre durchaus möglich, dass die Eltern hier eher von ihren Kindern beeinflusst werden und deren Selbstüberschätzung die Erwartungen der Eltern verstärkt.

Zu berücksichtigen wäre aber auch das außerschulische soziale Umfeld. Die hohen Selbstkonzepte der türkischstämmigen Jugendlichen könnten auch „förderlichen Vergleichen“ mit weiteren Verwandten oder anderen „eigenethnischen Kontakten“ mit einem entsprechend geringen Bildungsniveau entstammen. Auch das kann in unrealistische Erwartungen an sich selbst münden. Aber es kann auch motivieren – schließlich sei davon auszugehen, so die Autoren, dass die „optimistischen Selbstkonzepte dieser Jugendlichen durchaus positive Effekte haben“, da sie der „Gefahr einer Abwärtsspirale aus geringem Selbstkonzept, geringer Motivation, schwachen schulischen Leistungen und wenig ambitionierten Bildungsentscheidungen“ entgegenwirkten. Vielleicht wären sie sogar stark genug, so etwas wie eine Aufwärtsspirale in Gang zu setzen, die zu tatsächlichen schulischen Erfolgen führen würde.

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