Polens Regionalzeitungen: “Repolonisierung” im Eiltempo
Krzysztof Karwat arbeitete lange für “Dziennik Zachodni” (deutsch: Westliche Tageszeitung): 1993 fing er bei der größten Tageszeitung Oberschlesiens an. Der Publizist hat viele Regierungs- und Chefredakteurswechsel überstanden – aber in der Haut der jetzigen Mitarbeitenden seines ehemaligen Blattes möchte er nicht stecken. “Ihre Situation ist fatal. Ich bemitleide sie”, so Karwat im Gespräch mit der DW.
Die Zeitung, an die er, wie Karwat betont, mit Sentimentalität denkt, ist eins von drei polnischen Regionalblättern, die seit Ende März einen neuen Chefredakteur haben. Karwat sagt, er sei von den Entwicklungen nicht überrascht. Er habe den Beteuerungen nie geglaubt, dass es keinen Personalwechsel geben würde. “Ich habe nur nicht geahnt, dass es so schnell gehen würde”, so der Journalist.
Neben dem Chefredakteur von “Dziennik Zachodni” müssen sich auch dessen Kollegen von der “Gazeta Krakowska” (Krakauer Zeitung) und von “Nowiny” (Nachrichten) einen neuen Job suchen. Die Zeitungen gehören alle zur Verlagsgruppe Polska Press, die Ende 2020 vom staatlich kontrollierten Ölkonzern PKN Orlen übernommen wurde. Der bisherige Eigner, die deutsche Verlagsgruppe Passau, hatte alle Anteile verkauft.
Die Übernahme betrifft 20 von 24 in Polen herausgegebenen Regionalzeitungen, rund 120 regionale Wochenzeitschriften und 500 Online-Portale. “Dank der Transaktion bekommen wir Zugang zu 17,4 Millionen Nutzern”, so Daniel Obajtek, Chef von Orlen und langjähriger Weggefährte von Jarosław Kaczyński, dem Vorsitzenden der polnischen Regierungspartei PiS (“Prawo i Sprawiedliwość”, deutsch: Recht und Gerechtigkeit).
Die Gazprom der PiS
Die Opposition reagierte mit Kritik auf die Übernahme. Der frühere polnische Außenminister Radosław Sikorski sagte der Presseagentur PAP, die PiS “mache Orlen zu ihrer Gazprom”. Der Gasriese spielte eine zentrale Rolle bei Übernahme und Domestizierung regierungskritischer Medien in Russland. Regierungssprecher Piotr Müller dagegen sieht kein Risiko für die Pressefreiheit: “Das ist die Geschäftsentscheidung eines Unternehmens”, so Müller. Solche Übernahmen seien weltweit gang und gäbe. “Schließlich hat in den USA auch Amazon die Washington Post gekauft.”
Im Februar hatte die polnische Kartellbehörde den Kauf genehmigt. Einen Monat später erstritt Polens amtierender Ombudsmann für Bürger- und Menschenrechte, Adam Bodnar, vor Gericht eine Aussetzung des Vollzugs. Die einstweilige Anordnung bedeutet, dass der neue Eigner bis zur endgültigen Gerichtsentscheidung keine Fakten schaffen darf. Doch Orlen setzt sich darüber hinweg: Firmenchef Obajtek sagte im katholischen Sender “Radio Maryja”, man könne nichts stoppen, was schon realisiert worden sei. Der Gerichtsentscheid sei “irrelevant”.
Kaczyński: “Medien in Polen müssen polnisch sein”
Tatsächlich hat Orlens “Geschäftsentscheidung” eine hochpolitische Vorgeschichte: Schon länger kritisiert die PiS, ausländische Medienhäuser hätten “zu viel Einfluss” in Polen; es brauche eine “Repolonisierung” der Branche. “Medien in Polen müssen polnisch sein”, so Parteichef Kaczyński wörtlich. Die Übernahme der Polska Press-Medien nannte er “die beste Nachricht seit langem”.
Diese Rhetorik kritisierte Ex-“Dziennik Zachodni”-Chefredakteur Marek Twaróg scharf. Dem Portal “Onet” sagte er noch vor seiner Absetzung, es sei ein “Skandal” und “primitiv”, wenn der wichtigste Politiker “deutsche” und “polnische” Medien trenne. “Wir sind polnische Journalisten und die Führung von Polska Press ist ebenfalls polnisch”, sagte er damals.
Keine “Fernsteuerung” aus Deutschland
Auch der frühere “Dziennik Zachodni”-Mitarbeiter Karwat weist Vorwürfe zurück, die Polska Press-Zeitungen seien bisher aus Deutschland ferngesteuert worden. “Ich bin nie für Inhalte angegangen worden. Es gab natürlich eine gewisse Zeitungslinie, die sich aus dem gesunden Menschenverstand heraus ergab, aber es war nie so, dass politische Inhalte beeinflusst wurden oder Passau vorschrieb, was erscheinen soll.” Karwat betont, dass es bei seiner ehemaligen Zeitung nicht um irgendein Provinzblatt gehe, sondern um eine Reichweite von vier Millionen Lesern – “das ist fast die Bevölkerung der Slowakei”.
Den neuen Chefredakteur Grzegorz Gajda kennt der Ex-“Dziennik Zachodni”-Journalist Karwat nicht persönlich. Der Mann, der vom lokalen Kattowitzer Ableger des regierungsnahen nationalen Fernsehens TVP kommt und im Kirchenfunk aktiv ist, habe keinen schlechten Ruf – aber dass alleine heiße im heutigen Polen noch nichts. “Wenn ein gewisses Parteiprogramm vorgeschrieben wird und die Neuen es nicht befolgen, werden sie schnell ausgetauscht. Das zeigen viele Beispiele, etwa die vieler Leiterinnen und Leiter von Galerien oder Museen.”
“Ein natürlicher Prozess”
Chefwechsel im Zuge von Übernahmen seien “ganz natürlich”, beschwichtigt Vize-Entwicklungsministerin Anna Kornecka in einem Interview. “Schaut man sich die Situation in Europa an, so kommt es sehr oft vor, dass Zeitungstitel im Besitz von Unternehmen, Staatsbetrieben oder Regierungen sind. Ich würde das nicht als Bedrohung der journalistischen Unabhängigkeit sehen”, so die Ministerin.
So äußerte sich Kornecka im Gespräch mit Beata Tadla, eine der Top-Moderatorinnen Polens. Diese war Anfang 2016 vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen TVP entlassen worden – kurz nachdem PiS die Macht übernommen hatte. Tadla war ihr Misstrauen angesichts der Worte der Politikerin des PiS-Koalitionspartners “Porozumienie” (Verständigung) anzusehen.
Angst vor Neuwahlen
Im Gespräch mit der DW verrät die Moderatorin, sie habe beim Interview mit Kornecka an Ungarn denken müssen. “Die Ministerin zeigt idealtypisch, wie man den Doofen die Welt erklärt: Alle wissen, wie die Übernahme von TVP durch die jetzigen Regierenden aussah. Bei Polska Press wird genau das gleiche passieren.” Tadla hat keinen Zweifel, dass die Zeitungen des Verlags von der Regierung abhängig gemacht werden sollten. Jetzt gehe es um Tempo, schließlich könne es bald Neuwahlen geben.
Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat Kaczyńskis Partei mittlerweile zu einem Einpeitscher-Medium der PiS gemacht. Journalisten, Moderatoren, Chefredakteure und der Intendant wurden ausgetauscht. Senderchef Jacek Kurski, der früher PiS-Wahlkampfstratege war und “Kaczyńskis Bullterrier” genannt wurde, macht kein Hehl daraus, dass TVP ein “Gegengewicht” zu den oft regierungskritischen Privatmedien bilden müsse.
Dazu passt, dass die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nach der Präsidentenwahl 2020 fehlende Unparteilichkeit in der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender Polens ausdrücklich bemängelt hatten.
Der frühere “Dziennik Zachodni”-Journalist Karwat ist überrascht von der Geschwindigkeit des Umbaus seiner ehemaligen Zeitung: “Ich dachte, man werde mit dem Wechsel mindestens bis zum Sommer abwarten.” Stattdessen stellte sich der neue Chefredakteur schon am vergangenen Freitag (30.04.2021) in einer Video-Konferenz der Redaktion vor. Berichten zufolge betonte er dabei, er lege viel Wert auf “Teamgeist”.