Kultur

Jürgen Habermas lehnt Buchpreis aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ab

Es ist eine Menge Geld, auf das Jürgen Habermas verzichtet: Der “Sheikh Zayed Book Award” ist mit 225.000 Euro eine sehr hoch dotierte, durch ihren Schirmherrn Mohammed bin Zayed aber auch äußerst diskutable Auszeichnung. Der Kronprinz von Abu Dhabi ist zweifelsohne eine der einflussreichsten Personen in den Vereinigten Arabischen Emiraten und seinem politischen System, das wiederholt in Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen in die Kritik geraten ist.

Doch hätte der Philosoph den Preis nicht von vorneherein ablehnen müssen? Wie kann einem so regen Geist die “politische Verquickung nicht klar genug gewesen”sein, wie er über seinen Verlag Suhrkamp mitteilen ließ? Und welcher Einfluss kommt Jürgen Boos, dem Geschäftsführer der Frankfurter Buchmesse zu? In seinem Statement verwies Habermas darauf, dass Boos “Bedenken, die auf der Hand liegen, zerstreut” habe. Boos selbst ist Mitglied des “Wissenschaftlichen Komitees” des “Sheikh Zayed Book Award” – man könnte also meinen, dass er befangen ist, wie es im juristischen Sprachgebrauch so schön heißt.

Auf Anfrage der Deutschen Welle wollte Habermas kein weiteres Statement abgeben. Auch die Anfrage an Jürgen Boos blieb bislang unbeantwortet. Dementsprechend möchten wir in diesem Artikel zunächst auf die Person Habermas und seine Bedeutung für die Welt der Philosophie blicken.

Engagierter Denker und stilvoller Philosoph

Jürgen Habermas, geboren am 18. Juni 1929 in Düsseldorf, gilt als einer der wichtigsten und einflussreichsten lebenden Philosophen. Der “Frankfurter Feuerkopf”, wie er oft in den Medien bezeichnet wird, ist einer der wenigen Intellektuellen Deutschlands, die regelmäßig zu politischen Entwicklungen Stellung beziehen. Auch heute noch gilt seine Habilitationsschrift “Strukturwandel der Öffentlichkeit” von 1961 als wegweisend: Darin sieht er “Öffentlichkeit” als eine “historische Kategorie”. So könne beispielsweise von “öffentlicher Meinung” erst spät, nämlich im England des ausgehenden 17. und im Frankreich des 18. Jahrhunderts, die Rede sein.

In den 1968er Jahren ist Habermas ein wichtiger Impulsgeber der “Frankfurter Schule”: So nannte sich eine Gruppe von Intellektuellen, die dazu forschten, warum das aufgeklärte Denken, durch das sich die Menschen dank ihrer eigenen Vernunft von Naturgewalten und Aberglauben befreit hatten, umschlagen konnte in die Barbarei des Nationalsozialismus. Habermas vertritt die “Kritische Theorie”, eine Fortsetzung der Marx’schen Kapitalismuskritik, wonach die proletarische Revolution in den industriell entwickelten Ländern Europas ausgeblieben beziehungsweise gescheitert war.

Eine Kindheit im Schatten des Nationalsozialismus

Wie die Schriftsteller Günter Grass oder Siegfried Lenz wuchs auch Jürgen Habermas im Schatten des Nationalsozialismus auf. Diese Erfahrung prägt sein Werk. In seinen Schriften ist er immer auf der Suche nach dem Warum: Wie konnte es sein, dass ein Land, das Lessing, Schiller und Goethe hervorgebracht hatte, einem vulgären Despoten Glauben geschenkt und ihn 1933 sogar zum Reichskanzler gewählt hat? Und wie lässt sich verhindern, dass Sprache erneut als Waffe eingesetzt wird, mit der die Menschen verführt werden?

Während der Studentenproteste hat Jürgen Habermas den Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie an der Universität Frankfurt inne. Viele 68er sehen in dem Philosophen einen Mentor. Doch als sich die Bewegung radikalisiert, distanziert sich Habermas von ihr und übt offen Kritik. 1981 entwirft er in seinem Hauptwerk “Theorie des kommunikativen Handelns” eine Art Leitfaden für die moderne Gesellschaft: Demnach liegt die Grundlage einer Gesellschaft in ihrer Sprache. Erst als Mittel zur Verständigung befähigt sie zu sozialem Handeln. Habermas glaubt an die Kraft der Kommunikation und stellt folgende Fragen in den Mittelpunkt seiner Forschung: Wie ist der “zwanglose Zwang des besseren Arguments”, die “ideale Sprechsituation” oder der “herrschaftsfreie Diskurs” in einer Demokratie zu realisieren?

Im Laufe seiner Karriere entwirft der 91-Jährige weitere Kommunikationsmodelle und Begriffe, die Eingang finden in das Selbstverständnis der Bundesrepublik – etwa “konsensual”: Die Bürger sollen keine reinen Befehlsempfänger mehr sein, sondern selbst öffentlich intervenieren, ihre Standpunkte erkennbar formulieren, mitdiskutieren und Kompromisse finden können. Die Gesellschaftsentwürfe nach Habermas stellen Dialog und Friedfertigkeit in den Mittelpunkt.

Und so ist Haberman in den letzten Jahren auch als ein Fürsprecher Europas in Erscheinung getreten. Für sein Engagement für ein Europa jenseits eines bornierten Nationalismus erhielt er 2018 den “Deutschen-Französischen Medienpreis”.

In Abu Dhabi sollte Jürgen Habermas nun für sein Lebenswerk ausgezeichnet werden. Etliche seiner Bücher sind ins Arabische übersetzt worden. Dass es um die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie in den Vereinigten Arabischen Emiraten nicht immer gut bestellt ist, scheint auch Habermas bewusst zu sein. Und so schreibt er in seinem Statement: “Auf längere Fristen glaube ich an die aufklärende Macht des kritischen Wortes, wenn es nur ans Licht der politischen Öffentlichkeit dringt”. Den Preis stufte er dementsprechend als Möglichkeit ein, mit seinen kritischen Werken noch mehr Menschen als bisher zu erreichen.

Womöglich hätte er ihn von vorneherein ablehnen müssen. Indem er sich nun korrigiert, bleibt der Philosoph aber immerhin seinen Werten treu – allen voran dem der kommunikativen Aufklärung. Dazu gehört Mut.

QUELLE

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