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Mathematik ist einfach schön!

Für die einen ist sie die Königin der Wissenschaft, für die anderen eine hohe Kunst. Doch für viele dürfte sie nur eine abstrakte und trockene, von Zahlen, Gleichungen und langen Rechnungen dominierte Disziplin sein, deren Aussagen man gar nicht oder nur schwer begreifen kann. Obendrein führt sie noch immer die Liste der unbeliebten Schulfächer an. Für Jürgen Richter-Gebert ist Mathematik vor allem schön. Kein Wunder, möchte man sagen, denn Richter-Gebert ist ja auch Mathematikprofessor an der TU München und schon von Berufswegen mit diesem Gebiet innig verbunden.

Doch Richter-Gebert ist Überzeugungstäter und möchte möglichst viele Menschen von der Ästhetik der Mathematik überzeugen, vor allem davon, dass Mathematik Spaß macht. Dass ihm das in den vergangenen Jahren auch tatsächlich vielfach gelungen ist, bezeugt nicht zuletzt der Communicator-Preis, mit dem die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Stifterverband den Mathematiker dieses Jahr ausgezeichnet haben. Seit 2000 wird diese mit 50.000 Euro dotierte Ehrung jenen Wissenschaftlern vergeben, die ihre wissenschaftliche Arbeit und ihr Fachgebiet einem breiten Publikum zugänglich machen und sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft engagieren.

Dass es viel besser ist, nicht nur über Mathematik zu reden, sondern sie auch zu zeigen, ist Richter-Geberts feste Überzeugung. Berechnungen würden seiner Ansicht nach oft den Blick auf das Wesentliche, etwa einer mathematischen Struktur, versperren. Deshalb will er abstrakte mathematische Inhalte sinnlich erfahrbar machen und Menschen in die Lage versetzen, selbst zu experimentieren und über Phänomene und Effekte zu staunen. Und dabei natürlich Mathematik zu lernen. Dazu nutzt der 58 Jahre alte Mathematiker, der in Darmstadt geboren wurde, vielfältige Möglichkeiten der Visualisierung – vor allem Computerprogramme, aber auch Alltagsgegenstände, aus denen er alle möglichen geometrischen Figuren zu knüpfen versteht.

Aus Bündeln starrer Schaschlikstäbchen und Haargummis werden zusammenfaltbare Hyperboloide, aus Kleiderbügeln Vielecke und aus Holzspateln sogenannte „Stick Bombs“, zaunartig zusammengesteckte Ketten, die sich – sobald man einen Spatel entfernt – wie eine Kobra erheben und wie ein Dominoparcours zusammenfallen. Seine kuriosen geometrischen Objekte und mathematischen Zaubertricks präsentiert der Mathematiker gerne humorvoll vor Publikum.

Ausprobieren und Mathematik begreifen

Die Objekte sind auch am Zentrum Mathematik der TUM in Garching in der Mitmach-Mathematik-Ausstellung „ix-quadrat“ zu sehen, die Richter-Gebert 2002 konzipiert hat und leitet. Derzeit coronabedingt geschlossen, ist die Dauerstellung ein beliebtes Ausflugsziel für Schulklassen und Familien. Bei „ix-quadrat“ können Besucher selbst Versuche ausführen und so erfahren, wie Mathematik funktioniert, etwa indem man mit einer Murmelbahn Binomialkoeffizienten ausrechnet oder an Parabelrechnern Multiplikationen ausführt. Wer will, kann die Mathematik dahinter gleich mitlernen.

Richter-Geberts große Leidenschaft gehört der computergestützten interaktiven Visualisierung mathematischer Strukturen. Dies ist sein Forschungsgebiet an der TU München und sein Werkzeug, um Mathematik am Bildschirm zum Leben zu erwecken. Gemeinsam mit seinen Kollegen hat er unter anderem das interaktive Computerprogramm Cinderella und die Zeichen-App iOrnament entwickelt. Damit können Nutzer ohne großes Vorwissen eigene mathematische Skulpturen und Ornamente kreieren, indem sie elementare geometrische Operationen wie Drehungen, Spiegelungen und Verschiebungen ausführen. Beim Ausprobieren lernt man gewissermaßen die zugrundeliegende Mathematik. Er sei selbst überrascht, wer alles seine Programme nutze – vom dreijährigen Kind über den Professor bis hin zu Künstlern. Nutzer würden ihm die schönsten Kunstwerke zusenden.

Im vergangenen Jahr hat Richter-Gebert vor dem ersten Lockdown erkannt, welche Möglichkeiten die Digitaltechnik bietet, wenn Schüler und Studenten zu Hause lernen müssen. So hat er auf Kinder zugeschnittene Lernangebote – darunter Basteleien, Rätsel und Knobelspiele –, die den Jüngsten auf spielerische Weise den Zugang zu Mathematik und Physik ermöglichen. Denn die Gefahr ist groß, dass die Mint-Fächer bei Kindern, die zu Hause lernen müssen und wenig oder keinen Kontakt zu ihren Lehrern haben, vernachlässigt werden.

„Alles in der Welt ist merkwürdig und wunderbar für ein paar wohlgeöffnete Augen“, dieses Zitat des spanischen Philosophen Ortega y Gasset ist Richter-Geberts Leitmotiv. Der Mathematiker, der an der TU Darmstadt studierte, in Darmstadt und an der Königlichen Technischen Hochschule in Stockholm promovierte, sieht sich als Augenöffner für die Menschen, damit sie die Schönheit der Mathematik erkennen, die oft hinter einer Musik, einem Bauwerk, einer Blume oder einem Kachelmuster steckt.

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