Wirtschaft

Olaf Scholz vor dem Untersuchungsausschuss: Wie viel wusste der Finanzminister über den Milliardenbetrug?

Vizekanzler Olaf Scholz hat die Verantwortung für den Bilanzskandal um den ehemaligen Dax-Konzern Wirecard zurückgewiesen. “Die Verantwortung für diesen großangelegten Betrug trägt nicht die Bundesregierung”, sagte der Finanzminister im Untersuchungsausschuss des Bundestags. “In dem Unternehmen wurde offensichtlich mit hoher krimineller Energie gehandelt”, betonte er. Über elf Jahre seien die “Betrügereien” nicht aufgedeckt worden, weil die verantwortliche Wirtschaftsprüfungsgesellschaft keine Unregelmäßigkeiten erkannt habe.

Schuld sind die anderen

Scholz wies Vorwürfe zurück, die Finanzaufsicht Bafin oder das Finanzministerium hätten ihre schützende Hand über das Unternehmen gehalten. Er räumte allerdings ein, das staatliche Aufsichts- und Kontrollgefüge sei für einen solchen Angriff nicht gut genug gerüstet gewesen. Es sei wichtig, daraus zu lernen – auch, da viele Anleger getäuscht worden seien und hohe Summen verloren hätten. Scholz verwies auf die geplante Reform der Bilanzprüfung. Die wichtigste Aufgabe sei es, verloren gegangenes Vertrauen in den Finanzplatz Deutschland wiederherzustellen.

Der Untersuchungsausschuss soll die Vorkommnisse rund um den Münchner Zahlungsdienstleister Wirecard aufarbeiten und insbesondere das Vorgehen der Bundesregierung und der ihr unterstehenden Behörden unter die Lupe nehmen. Dabei geht es im Fall von Scholz besonders um die Rolle der dem Finanzressort unterstellten Finanzaufsicht Bafin, die Betrugshinweisen gegen Wirecard lange nicht nachgegangen war. Am Freitag steht dann die Zeugenanhörung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf der Tagesordnung. Zuvor mussten in dieser Woche bereits weitere Mitglieder der Bundesregierung aussagen.

Im Zentrum steht die Frage der politischen Verantwortung für den Bilanzskandal mit Milliardenschaden für viele Kleinanleger – denn Scholz‘ Ministerium ist zuständig für die Finanzaufsicht Bafin, der schwere Fehler vorgeworfen werden. Besonders die Union hat den Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidaten deswegen im Visier. Staatssekretär Jörg Kukies dagegen stellte sich in der Nacht zum Donnerstag im Ausschuss vor seinen Minister: Scholz sei über eine wichtige Entscheidung der Aufsichtsbehörde im Fall Wirecard vorab nicht informiert gewesen.

Wie aktiv waren Merkel und Scholz eingebunden?

Vor der Befragung von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) vor überzogenen Erwartungen gewarnt. “Bei der Befragung von Angela Merkel und Olaf Scholz erwartet uns eher ein politisches Schauspiel, das zur Aufklärung wenig beitragen wird”, sagte SdK-Chef Daniel Bauer dem “RedaktionsNetzwerk Deutschland” (RND).

Große Fehler sehe er vor allem bei den Abschlussprüfern von EY sowie der staatlichen Bankenaufsicht BaFin und der Staatsanwaltschaft München, sagte Bauer den RND-Zeitungen. “Weder Frau Merkel noch Herr Scholz waren aktiv in Entscheidungen der Behörden eingebunden”.

Die großen Fehler bei der Konstruktion der Bilanzüberwachung seien bereits in den Nullerjahren noch vor Merkels Amtszeit gemacht worden. Scholz sei auch erst in dieser Legislaturperiode Finanzminister, und decke damit nur einen geringen Teil der Jahre ab, in denen Wirecard die Öffentlichkeit und die Finanzmärkte betrogen habe.

“Interessant wird aus meiner Sicht vor allem sein, warum Frau Merkel sich nach einer negativen Einschätzung eines Mitarbeiters nicht von Wirecard fernhielt, sondern das Thema auf einer Chinareise ansprach”, sagte Bauer weiter. Spannend sei auch, ob Finanzminister Scholz gewusst habe, was sein Staatssekretär Jörg Kukies und die Finanzmarktaufsicht Bafin in Bezug auf Wirecard veranlasst hätten und ob Kukies darüber mit dem damaligen Wirecard-Chef Markus Braun gesprochen habe. “Große Fortschritte bei der Aufklärung dürfte dies aber nicht liefern”, wandte Bauer ein.

Staatssekretär Kukies verteidigt den Finanzminister

Die Bafin hat im wohl größten Bilanzskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte eine Schlüsselrolle. Dabei geht es sowohl um Zuständigkeitsgerangel als auch darum, dass sie Aktionären zeitweise verbot, auf fallende Kurse von Wirecard zu wetten. Durch das sogenannte Leerverkaufsverbot entstand bei vielen Anlegern der Eindruck, bei dem Skandalkonzern sei trotz zahlreicher kritischer Medienberichte alles in Ordnung. Aus Sicht der Abgeordneten führte das dazu, dass der mutmaßliche Betrug von Wirecard noch einige Zeit weitergehen konnte.

Staatssekretär Kukies war von der Bafin vorab über die Verbotspläne informiert worden, die entsprechende Email ging auch an die Leiterin von Scholz’ Ministerbüro. Kukies betonte im Untersuchungsausschuss dennoch: “Der Minister hatte keine Kenntnis von der Sache.” Er habe Scholz nicht angerufen, “aus meiner Sicht gab es keine Ministerunterrichtung”. Auch die Mitarbeiterin habe Scholz nicht in Kenntnis gesetzt, weil dieser an dem betreffenden Wochenende andere wichtige Themen und Termine gehabt habe.

Zuvor hatte der Staatssekretär bereits betont, das Finanzministerium habe das damals scheinbar aufstrebende Tech-Unternehmen nicht mit Samthandschuhen angepackt. “Es gab zu keinem Zeitpunkt eine besondere Privilegierung der Wirecard AG”, betonte er. Im Finanzministerium habe es “kein besonderes Interesse an der Verteidigung eines sogenannten nationalen Champions Wirecard gegeben” – und auch keine besondere Nähe zu dem Unternehmen. “Ich hatte zu keinem Zeitpunkt die Handynummer von Herrn Braun”, betonte Kukies. Markus Braun, der Ex-Wirecard-Chef, gilt als einer der Drahtzieher des mutmaßlichen Milliardenbetrugs.

Scholz weiterhin verantwortlich

Scholz, der als Kanzlerkandidat für die SPD in den kommenden Monaten in den Wahlkampf zieht, plant als Reaktion auf den Skandal Reformen bei der Bafin. Außerdem mussten Bafin-Chef Felix Hufeld und Vizepräsidentin Elisabeth Roegele ihre Posten räumen. Die Union und auch Teile der Opposition halten die Reaktion des Finanzministers aber nicht für ausreichend. Letztlich habe Scholz’ Ministerium die Kardinalfehler im Wirecard-Skandal zu verantworten. Da dürfe es nicht bei Bauernopfern bleiben, kritisierten sie vor der Befragung.

Die SPD dagegen sieht alle Vorwürfe gegen Scholz durch die Aussage von Kukies aus der Welt geräumt. “Das Gepolter der Union hat sich einmal mehr als Luftnummer erwiesen”, erklärte der SPD-Finanzpolitiker Jens Zimmermann. Kukies habe “als einer von wenigen” frühzeitig die Warnsignale bei Wirecard verstanden, schnell reagiert und die Bafin zur Aufklärung gedrängt. “Zahlreiche Aktenstücke belegen die kritische Grundhaltung im Finanzministerium”, betonte Zimmermann.

Die inzwischen insolvente Wirecard AG hatte im vergangenen Sommer eingestanden, dass in der Bilanz aufgeführte 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar sind. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht von einem “gewerbsmäßigen Bandenbetrug” aus – und zwar seit dem Jahr 2015. Durch die Insolvenz des Konzerns verloren Tausende Anleger viel Geld, die Union geht von einem wirtschaftlichen Schaden von mehr als 22 Milliarden Euro aus.

QUELLE

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