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Gute Ernten und böse Zeichen

Die meisten chronischen Leiden haben ihre Wurzeln tief in der eigenen Vergangenheit. Besser, als sie im späteren Leben zu behandeln, wäre es, ihren Ausbruch frühzeitig zu verhindern. Dies bedingt, dass man sie bereits im Vorfeld anhand bestimmter Warnzeichen erkennen kann. Die gängigen Festlegungen für Risikofaktoren werden diesem Anspruch aber nicht immer gerecht. Im Einzelfall versagen sie oft. Beispielsweise münden erhöhte Blutzuckerspiegel zwar häufig in einen Typ-2-Diabetes.

Anders aber, als die dazugehörige Frühdiagnose Prädiabetes impliziert, erleiden längst nicht alle Betroffenen ein solches Schicksal. Vielmehr gibt es mehrere Untergruppen von Prädiabetes, die sich bezüglich ihres Erkrankungsrisikos teils erheblich unterscheiden. Hinweise darauf haben Forscher um Robert Wagner von der Universität Tübingen jüngst in „Nature Medicine“ vorgelegt.

Zu den Schwächen der herkömmlichen Risikomarker zählt auch, dass sie nur einen kleinen Ausschnitt des aktuellen Gesundheitszustands wiedergeben. Tiefere Einblicke erhoffen sich Wissenschaftler diesbezüglich von der Gesamtheit aller Proteine (Proteom) oder auch der Stoffwechselprodukte (Metabolom), die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt im Blut, im Speichel oder in einer Zelle befinden. Gestützt auf Blutproben von rund 12.000 Personen mittleren Alters, haben britische und deutsche Wissenschaftler untersucht, ob einzelne Stoffwechselprodukte im Blut – Moleküle, die etwa bei der Energiegewinnung, der Verdauung oder Entgiftungsprozessen anfallen – ein zuverlässiger Indikator für die Entwicklung gleich mehrerer unterschiedlicher Krankheiten sind. Sollte dies der Fall sein, so ihre Überlegung, könnte ein sofortiges Einschreiten die Betroffenen möglicherweise vor Multimorbidität, dem gleichzeitigen Auftreten mehrerer Gebrechen, bewahren.

Zuverlässige Indikatoren im Blut

Wie die Studienautoren um Maik Pietzner und Claudia Langenberg vom Berlin Institute of Health (BIH) und der MRC Epidemiology Unit der Cambridge University ebenfalls in „Nature Medicine“ darlegen, erkrankt im Verlauf von zwanzig Jahren rund ein Drittel der Versuchspersonen an mindestens zwei chronischen Leiden. Messungen des Blut-Metaboloms der Probanden ergaben, dass 420 der über tausend gemessenen Stoffwechselprodukte eine Verbindung zu verschiedenen Krankheiten besaßen. Einzelne dieser Metaboliten waren mit so unterschiedlichen Erkrankungen assoziiert wie einer Herzschwäche, einem Alterszucker, einem Schlaganfall, Funktionsstörungen der Niere, Leberkrankheiten, Lungenkrebs und atherosklerotisch bedingten Verengungen der Herz- oder auch Beinarterien. Die meisten Beziehungen dieser Art besaß ein zuckerähnliches Molekül namens N-Acetyl-Neuraminat. Der Blutgehalt dieses Metaboliten war im Vorfeld von vierzehn Krankheiten merklich erhöht. Laut dem Erstautor der Studie gibt es hierfür eine einfache Erklärung. N-Acetyl-Neuraminat ist ein Bestandteil der Zuckerhülle von Endothelzellen, der innersten Zellschicht der Gefäßwände, erklärt der Biomathematiker Pietzner. „Alles was den Endothelzellen zusetzt, kann zu einer Ablösung von Teilen der Zuckerhülle und damit zu einer Anreicherung von N-Acetyl-Neuraminat im Blut führen.“ Als Auslöser kommen demnach unzählige Einflüsse in Betracht, darunter hoher Blutdruck, aggressive Sauerstoffmoleküle und entzündliche Prozesse.

Auch in anderen Stoffwechselprozessen gab es einzelne Moleküle, die mit einer Vielzahl von Leiden in Zusammenhang standen. Einige dieser stark vernetzten Metaboliten gingen mit einer erhöhten, andere dagegen mit einer verminderten Erkrankungsgefahr einher. Das Spektrum an solchen Verknüpfungen war zudem ausgesprochen vielfältig. Beispielsweise trugen Personen, deren Blut zu Beginn größere Mengen eines noch unbekannten Moleküls namens x-11305 enthalten hatte, ein deutlich vermindertes Risiko für Darmkrebs, Herzschwäche, Durchblutungsstörungen der Beine und eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Umgekehrt erkrankten Probanden mit erhöhtem Blutgehalt des Zuckerstoffs Maltose überdurchschnittlich oft an Magenkrebs, COPD, Diabetes, Herzschwäche, Venenthrombosen oder auch atherosklerotisch bedingten Durchblutungsstörungen des Herzens und der Beine.

QUELLE

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