Bund und Länder wollen Lockdown verlängern
Eigentlich ist allen klar, was Bund und Länder bei ihrer Videokonferenz am Montag beschließen müssen. Am Sonntag stieg die Sieben-Tage-Inzidenz bundesweit auf 104. Das Robert Koch-Institut spricht wieder von einem exponentiellen Wachstum der Infektionszahlen, und die dritte Welle, in der sich Deutschland mittlerweile befindet, dürfte wegen der Virusmutation B.117 noch deutlich heftiger werden als die beiden davor. Das Impfen und Testen ist in Deutschland noch nicht so flächendeckend möglich, wie es notwendig wäre. Inzwischen ist klar: Mit den Impfungen allein kommen wir nicht mehr gegen das Virus an.
Nach Öffnungen sieht es gerade nicht aus.
Bei ihrer letzten Konferenz vor zwei Wochen hatten sich Länderchefs und Kanzleramt darauf geeinigt, ab einer Inzidenz von über 100 alle beschlossenen Öffnungen wieder zu kassieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte schon nach dem Impfgipfel am Freitag prophezeit: »Ich hätte mir gewünscht, dass wir ohne diese Notbremse auskommen, aber das wird nicht möglich sein«. Und so steht in dem Entwurf der Beschlussvorlage für Montag, der dem SPIEGEL am Sonntag vorlag: »Angesichts der exponentiell steigenden Infektionsdynamik muss die im letzten Beschluss vereinbarte Notbremse konsequent umgesetzt werden.« Der Lockdown soll bis zum 18. April verlängert werden. Am 12. April wollen sich Länderchefs und Bundeskanzlerin wieder zusammensetzen.
Doch kann das überhaupt klappen in einem Land, das das »Durchgreifen« lieber immer auf die nächstkleinere Ebene weitergibt? Denn ob die Notbremse angewendet wird, blieb zuletzt wieder dem Föderalismus überlassen. Jedes Bundesland, jeder Landkreis entschied anders:
- Brandenburg schrieb die Notbremse nicht in die Corona-Verordnung und setzte auf die Eigenverantwortung der Landkreise. Eine verbindliche Rückkehr zu den Einschränkungen sollte es im Wesentlichen erst ab einer Inzidenz von 200 geben. Schließlich stellte Ministerpräsident Dietmar Woidke fest, dass diese Eigenverantwortung nicht zog: Er kündigte einen Erlass an, sollten die Landkreise sich nicht an die Notbremse halten.
- In Sachsen schrieben Bürgermeister einen Brief an ihren Ministerpräsidenten: Sie forderten eine Abkehr von den Inzidenzwerten – die Rücknahme von Öffnungen sei den Menschen einfach nicht mehr vermittelbar. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer schloss Lockerungen dagegen aus. »Es funktioniert nicht«, sagte er in einer Videokonferenz über die zuletzt mit der Kanzlerin gefassten Beschlüsse.
- In Nordrhein-Westfalen lief es genau umgekehrt: Der Landkreis Düren bat darum, wegen steigender Infektionszahlen von den Schulöffnungen im Bundesland ausgenommen zu werden. Das Schulministerium lehnte den Antrag ab. Auch die Oberbürgermeister von Duisburg und Dortmund wollten Kitas und Schulen im Alleingang schließen – zum Ärger von Ministerpräsident Armin Laschet.
- Hamburg hat bereits am Wochenende die Öffnungen rückgängig gemacht.
Intensivmediziner forderten zuletzt einen bundesweiten Lockdown. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sieht das ähnlich. »Die Notbremse muss für alle gelten. Und zwar konsequent«, sagte er der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«. Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach betonte im Interview mit der »Welt«: »Die Notbremse muss bundesweit gezogen werden. Aber das reicht wahrscheinlich noch nicht einmal.«
Bund und Länder beraten über nächtliche Ausgangssperren
In dem Entwurf des Kanzleramts ist deshalb auch von zusätzlichen Maßnahmen die Rede.
- In Landkreisen mit Inzidenzwerten deutlich über 100 sollen nächtliche Ausgangsbeschränkungen hinzukommen – der Zeitraum ist noch unklar.
- Schulen und Kitas sollen wieder geschlossen werden, sofern nicht zweimal die Woche getestet werden kann oder wenn die Inzidenzwerte über 200 steigen.
- Im Beschlusspapier wird von Reisen abgeraten. Prüfen wollen Bund und Länder, ob Auslandsreisen unabhängig von Inzidenzen an eine Quarantäne und Testpflicht geknüpft werden können. Das dürfte besonders interessant für all jene sein, die vorfreudig ihren Mallorca Urlaub zu Ostern gebucht haben, nachdem die spanische Insel nicht mehr als Risikogebiet gilt.
Doch in dem Papier stecken auch ein paar Öffnungen durch die Hintertür:
- So ist dort die Rede von einem Konzept des »kontaktarmen Urlaubs«, den Menschen im eigenen Bundesland machen können – in Ferienwohnungen oder auf Campingplätzen, wo sie sich selbst versorgen können.
- Im Rahmen von Modellprojekten solle in einzelnen Regionen zudem erprobt werden, ob sich mit strengen Schutzmaßnahmen und einem Testkonzept einzelne Bereiche des öffentlichen Lebens öffnen lassen.
Warum wurde überhaupt geöffnet?
Na, die Idee kommt ja früh. Denn das Kuriose an der Sache ist: Es war bereits seit Anfang des Jahres klar, dass die Infektionszahlen durch die Coronamutante in die Höhe schießen würden. Es war auch klar, dass wir schneller impfen und mehr testen müssen. Experten, wie der Virologe Christian Drosten, forderten von vornherein härtere Lockdowns. Die No-Covid-Initiative schlug einen Wettbewerb in der Pandemiebekämpfung mit Testkonzepten vor. Doch diese Forderungen wurden von Bund und Ländern in den Wind geschlagen. Stattdessen gaben sie der Wirtschaft nach und öffneten – ohne ausreichende Testkonzepte. Jetzt müssen sie diese Fehler durch den nächsten Lockdown wieder einfangen.
»Bei allem Verständnis für unsere Frühlingsgefühle«, schrieb SPD-Chefin Saskia Esken auf Twitter, »solange Testen und Impfen nicht greifen, müssen wir die geplanten Öffnungen verschieben und noch mal einen Schritt zurückgehen in den Lockdown«. Es klang ein bisschen wie eine Kapitulation vor dem eigenen Missmanagement.
Die halbherzigen Shutdowns, die niemals enden zu wollen scheinen, haben die Menschen mürbe gemacht und der Wirtschaft nicht geholfen. Wie viele Menschen haben sich überhaupt in den letzten Wochen zum Click and Meet in die Läden getraut? Oder zum Friseur? Zwei Wochen nach der letzten Ministerpräsidentenkonferenz bleibt die Frage: Warum wurde überhaupt geöffnet?