Der FC Bayern hat gerade wahrlich größere Probleme als die Frage, wer beim Achtelfinal-Rückspiel in der Champions League gegen Lazio Rom am Mittwoch im Tor stehen wird: Manuel Neuer, 34, oder sein zehn Jahre jüngerer Vertreter Alexander Nübel. Das Hinspiel in Rom hatten die Münchner 4:1 gewonnen, was ein Weiterkommen durchaus wahrscheinlich macht. Und ob vor diesem Hintergrund nun der Welttorhüter Neuer spielen wird oder Nübel, der immer noch als das größte deutsche Torwarttalent gilt, ist eigentlich zweitrangig.
Aufgeführt wird mit der Personalie Nübel also ein weiterer Akt im Schauspiel um den schwelenden Konflikt zwischen Trainer und Sportvorstand, der mit dem Rücktritt von Bundestrainer Joachim Löw und der Frage nach Flick als möglichem Nachfolger an die Oberfläche getreten ist. Jener Zwist, womöglich ist es auch schon ein Machtkampf, hat das Potenzial, die so erfolgreiche Zeit von Flick in München im Sommer zu beenden.
Flick wurde am Dienstag bei der Pressekonferenz vor dem Achtelfinale nach Nübel gefragt, und er reagierte gereizt: »Es ist so, dass ich dafür da bin, um Entscheidungen zu treffen, wer spielt, wer nicht spielt. Das ist meine Aufgabe, und da lasse ich mir auch nicht reinreden«, sagte der 56-Jährige. Flick sollte die Frage nach einer möglichen Klausel im Vertrag von Nübel beantworten, welche dem 24-Jährigen eine bestimmte Anzahl an Spielen zusichern soll: »Ich kenne keine Klauseln, die Spieler in ihren Verträgen haben, ich kenne die Verträge der Spieler nicht«, sagte Flick. Er hoffe, dass Neuer fit werde für die Partie gegen Rom. Am Mittwochmorgen wolle er dann entscheiden, wer von den beiden spielen werde.
Im vergangenen Sommer wechselte der ehemalige U21-Nationalkeeper vom FC Schalke zum FC Bayern, um perspektivisch die Nummer eins zu werden. Das sorgte damals für viel Aufruhr, weil Nübel seinen Stammplatz in Gelsenkirchen gegen die zweite Reihe in München eintauschte. Beim FC Schalke waren sie stinksauer, und so mancher in der Branche fragte sich, ob sich da nicht ein potenzieller Nationaltorwart der Zukunft um seine eigenen Karrierechancen bringt. Wer tritt schon gegen Neuer an? Und: Braucht ein junger Keeper nicht vor allem Spielpraxis?
Rund zehn Spiele sollen Nübel zugesichert worden sein
Aber Nübel verfolgte einen Plan: Er wollte in Neuers Schatten langsam heranreifen zu seinem Erben. Und offenbar ließ er sich dafür auch ein paar Rahmendaten in seinen Vertrag schreiben. Jene Klausel, nach der Flick am Dienstag gefragt wurde, soll es nach SPIEGEL-Informationen tatsächlich geben. Rund zehn Spiele pro Saison sollen ihm schriftlich zugesagt worden sein. Den Kontrakt mit dem damals ablösefreien Torwart für die Bayern ausgehandelt hat: Hasan Salihamidžić.
Doch nach mehr als zwei Dritteln der Saison steht Nübel lediglich bei zwei Einsätzen: einem in der ersten Pokalrunde gegen Düren und einem im Champions-League-Vorrundenspiel gegen Atlético Madrid, als Neuer jeweils geschont wurde. Flick setzte fast immer auf den Weltmeister von 2014, selbst im letzten Gruppenspiel der Königsklasse gegen Lokomotive Moskau, obwohl Platz eins in der Gruppe schon sicher war. In den 25 Bundesligaspieltagen bisher kam Nübel auf keine einzige Einsatzminute.
Neuer hatte von Anfang an betont, auf kein Spiel freiwillig verzichten zu wollen. Zu Flicks Ansatz gehört es, auf die ihm durch seine Zeit als Co-Trainer der Nationalelf sehr vertrauten Säulen Neuer, Thomas Müller und Jérôme Boateng zu setzen. Und damit ist er bisher enorm erfolgreich. Er gewann sechs von sechs Titeln. Der vertraglich offenbar festgeschriebenen Einsatzgarantie für Nübel konnte der FC Bayern aber so bisher nicht nachkommen, was Salihamidžić in Bedrängnis bringt.
Dass Flick nun vor der Partie gegen Rom sagt, er lasse sich nicht bei Personalentscheidungen reinreden, kann man als eine Spitze gegen seinen Sportvorstand verstehen. Auch wegen der bisher mangelhaften Berücksichtigung des Keepers soll es Unstimmigkeiten zwischen beiden geben. Salihamidžić und Flick scheinen bei der Beurteilung des eigenen Personals unterschiedliche Auffassungen zu haben. Neben Nübel sind da auch Marc Roca und Bouna Sarr, die Salihamidžić im Sommer holte, aber von Flick zumeist ignoriert werden.
Nübel will sich zwei Jahre ausleihen lassen
Alexander Nübel hat für sich entschieden, dass es so nicht weitergehen kann. Aus seinem Umfeld ist zu hören, dass er in den nächsten Wochen seine Zukunft ordnen will. Ein weiteres Jahr auf der Bank will er nicht mehr akzeptieren. Entweder, er erhält die ihm vertraglich zugesicherten Einsätze, oder er will sich für zwei Jahre ausleihen lassen. Die AS Monaco mit dem ehemaligen Bayern-Trainer Niko Kovač hat sich nach seiner Situation erkundigt. Mehr aber noch nicht. Darüber hinaus soll es drei bis vier weitere Anfragen geben. Eine Ausleihe ins Ausland wäre Nübels bevorzugte Variante, sollte sich die Situation in München nicht für ihn verbessern. Und weil es dieses Vertragsdetail der festgeschriebenen Einsätze geben soll, glaubt die Nübel-Seite, auch ein Druckmittel für einen Wechsel zu besitzen. Ansonsten könnte dem FC Bayern ein Rechtsstreit drohen.
Für den FC Bayern ist das eine unschöne Situation. Eigentlich könnte es kaum besser sein: Man verfügt über den weltbesten Torwart und einen sehr talentierten Ersatzmann, der im Falle einer Verletzung einspringen könnte und perspektivisch zur Nummer eins aufgebaut werden soll. Aber weil es Unstimmigkeiten auf der Führungsebene gibt (und Neuer auf keine Spiele verzichtet), ist aus dieser komfortablen Lage nun ein Problem geworden.
Doch vielleicht gilt das auch für den Klub im Allgemeinen: Eigentlich könnte es nach sechs Titeln kaum besser sein. Man verfügt über einen sehr erfolgreichen Trainer und eine sehr erfolgreiche Mannschaft mit Zukunftsperspektive. Aber der Konflikt zwischen Flick und Salihamidžić könnte diesen paradiesischen Zustand jäh beenden.