Mit seinem Kopfballtor zum 1:0 stellte Jérôme Boateng am Samstag einen neuen persönlichen Rekord auf. Gegen keine andere Mannschaft traf der Innenverteidiger des FC Bayern nämlich nun so häufig wie gegen die TSG Hoffenheim: genau zweimal. Es war ja auch erst sein fünftes Tor im 302. Bundesliga-Spiel.
Dass bei Boatengs erstem Treffer nach mehr als drei Jahren an diesem Nachmittag auch Joachim Löw auf der Tribüne saß, war dabei eher eine nette Randnotiz. Denn nach wie vor bleibt es reine Spekulation, ob der Bundestrainer Boateng oder auch Thomas Müller, den Torschützen zum 2:0, für die EM im Sommer in die Nationalmannschaft wiedereinberufen wird. Mag ein etwaiges Comeback beim DFB noch völlig ungewiss sein, so deutet dafür immer mehr darauf hin, dass Boateng seinen Vertrag in München verlängern wird: Weil er einerseits zu gut spielt, weil andererseits zu viel dagegenspricht, als dass man ihn im Sommer ziehen lassen dürfte.
Den Klub-Bossen des FC Bayern geht es gerade so wie den meisten Gegenspielern. An Boateng kommen sie nicht mehr vorbei.
Boateng als Fixpunkt in der Abwehr
Mit dem unbeschwerten 4:1 gegen Hoffenheim waren die Bayern endgültig wieder dort angekommen, wo sie sich nach den Niederlagen in Gladbach und im Pokal in Kiel nach eigenen Worten schleunigst wiedersehen wollten: in der Spur. Weshalb die Weichen auch gestellt sind in Richtung neunte Meisterschaft in Serie. Thomas Müller sprach später dann auch von »einem ganz normalen Fußballspiel«, denn genau so stellen sie sich das ja vor: Den Gegner mit Ausnahme einer Unachtsamkeit beim Anschlusstor kurz vor der Halbzeit nach Belieben zu beherrschen, nach einer guten Stunde mit dem vierten Tor durch Serge Gnabry (63.) für die Entscheidung zu sorgen. Die Gäste in der Arena zu ernüchtern und zu zermürben, das ist Münchner Normalität. Die Bayern sind zurück im Alltag.
So haben die Verantwortlichen derzeit auch wieder die nötige Ruhe, sich mit dem Kader für die kommende Saison zu beschäftigen, vor allem in der Problemzone Abwehr. Der Abschied von David Alaba gilt als fix, nach den gescheiterten Vertragsverhandlungen, den Streitigkeiten und lauten Nebengeräuschen zwischen Klub-Führung und Berater Pini Zahavi hat der Österreicher in München keine Zukunft mehr. Dafür umso mehr Boateng, dessen Vertrag ebenfalls im Sommer ausläuft und der ja schon so oft vor dem Absprung stand, der sich zwischenzeitlich komplett von den Bayern entfremdet hatte. Eine Distanz, die er in lustlosen Leistungen wie auch im Fernbleiben bei der Meisterfeier 2019 öffentlich dokumentierte. Uli Hoeneß riet ihm damals »als Freund, den Verein zu verlassen.« Was Boateng auch fast beherzigte: Ein Wechsel zu Juventus platzte aber im letzten Moment. Letztlich ein großes Glück für die Bayern.
Leidenschaft statt Phlegma
In Auftreten und Körpersprache, in Mentalität und physischer Präsenz erinnerte wie schon in den vergangenen Monaten auch gegen Hoffenheim – und das nicht nur wegen seines Tores – wieder vieles an den Boateng aus alten Zeiten, ohne Phlegma, dafür mit viel Leidenschaft. Ein Verdienst von Hansi Flick, der ihm auch in Gesprächen immer wieder verdeutlichte, wie wichtig er für die Mannschaft sei, der ihm das nötige Selbstvertrauen zurückgab – und der auf einen Verbleib Boatengs hofft. Auch in Ermangelung weiterer Alternativen. Niklas Süle, den die Bayern 2017 einst als potenziellen künftigen Abwehrchef aus Hoffenheim einkauften, durchlebt gerade die schwierigste Zeit seiner vier Jahre in München und ist als Reservist nur noch dritte Kraft.
In der zentralen Abwehr wäre auch Lucas Hernández eine Option, doch der französische 80-Millionen-Rekordtransfer ist selbst auf seiner Stammposition als Linksverteidiger auch gerade nur zweite Wahl hinter Alphonso Davies. Kaum vorstellbar also, dass die Bayern Boateng als die derzeit verlässlichste Stütze in der Innenverteidigung gehen lassen.
Wunschkandidat Upamecano
In den kommenden Wochen sollen die Gespräche mit dem 32-Jährigen beginnen, denkbar ist ein – wie bei Ü30-Spielern des FC Bayern üblich – neuer Ein-Jahres-Vertrag bis Sommer 2022. In dieser Zeit könnten sich an der Seite des Routiniers dann zwei junge Spieler an den FC Bayern gewöhnen, sowohl das hochgelobte, aber dauerverletzte Talent Tanguy Nianzou, 18 Jahre, als auch der potenzielle Alaba-Nachfolger und Wunschkandidat, der 22 Jahre alte Franzose Upamecano.
Erstaunlich offen bestätigte der sonst bei Fragen zu Neueinkäufen sehr zurückhaltende Hasan Salihamidžić am Samstag das Interesse am Innenverteidiger von RB Leipzig.
»Wir beschäftigen uns mit dem Spieler«, erklärte Bayerns Sportvorstand und sagte über ein Treffen mit Upamecanos Beratern: »Wir haben gute und professionelle Gespräche geführt, jetzt müssen wir dann sehen, was passiert.« Sollte der Transfer zustande kommen, wäre er freilich nicht billig, es könnte an die 50 Millionen Euro gehen. Da Alaba den Verein ablösefrei verlassen wird, dürfte nicht mehr viel Spielraum für weitere teure Neuverpflichtungen bleiben.
Gute Chancen also für Boateng, im Sommer in seine elfte Saison beim FC Bayern zu starten – und seine Rekordbilanz gegen Hoffenheim auszubauen.
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