Ich arbeite gerade an unserem Balkontisch, den ich jeden Morgen zwischen Ehebett und Kleiderschrank im Schlafzimmer aufklappe. Im Hintergrund quietschende Kinderstimmen aus der Zoom-Schulkonferenz meiner Neunjährigen, unter mir ein bedenklich knarzender Balkonstuhl aus Holz. Gleich wird mein Kind hereinkommen und mir detailreich erklären, wer heute wieder besonders blöd war in der Konfi. Und ich werde nicht das Herz haben, ihr zu sagen, dass ich mir das nicht anhören kann, weil bei mir auch die nächste Konferenz drängt.
Hätte ich auch nicht gedacht, dass man so arbeiten kann, aber es geht schon. Das sage ich heute leichthin, meine Frau denkt darüber sicher anders: Sie hat »Schuldienst«, sitzt dem Kind mit ihrem Arbeitsrechner also direkt gegenüber macht Betreuung und Arbeit parallel. Das blüht mir nächste Woche auch wieder. Aber trotzdem, anderen geht’s sicher weitaus schlechter. Allerdings: Auch diese improvisierte Routine ist wackeliger als gedacht. Ab Montag kehrt Hamburg wieder zur Kita-Notbetreuung zurück, und dann könnte Schluss sein mit der relativen Ruhe. Dann tobt hier möglicherweise auch noch eine Sechsjährige durch die Wohnung, und die braucht noch ein ganz anderes Maß an Betreuung (ihr Lieblingssatz derzeit: »Mir ist langweilig«). Wie soll das werden?
Diese Frage hat bisher offiziell noch kein Hamburger Politiker auch nur ansatzweise beantwortet. Eltern sollen, wenn irgend möglich, aus dem Homeoffice arbeiten und gleichzeitig, wenn irgend möglich, ihre Kitakinder betreuen. Das sind zwei Dinge, die sich diametral gegenüberstehen, die schlicht nicht miteinander vereinbar sind. Der Kopf raucht. Es zerrt an den Nervensträngen. Ich will jetzt Antworten. Anruf bei der Hamburger Corona-Hotline. Nach dem zweiten Klingeln nimmt jemand ab, wer hätte das gedacht?
»Wie soll das gehen?«, frage ich also.
»Tja – Sie können ja arbeiten, wenn die Kinder im Bett sind.« Steilvorlage! Nach dieser Frechheit kann ich die Dame anschreien, endlich jemand, bei dem ich meinen Frust abladen kann. Aber die redet schon weiter, mit freundlicher, eifriger Stimme.
»Ganz ehrlich – die Eltern stehen wieder im Regen, das kann ich nicht anders sagen. Ich möchte nicht mit Ihnen tauschen. Ich habe mit Eltern gesprochen, die ernsthaft abends ab acht Uhr arbeiten bis drei Uhr morgens.« Das hilft mir jetzt zwar nicht weiter, und ich weiß ja schon, dass andere Eltern vor den gleichen Problemen stehen. Immerhin fühle ich mich in meiner Not verstanden.
»Ich bin Journalist, aber ich schreibe über Serien und Filme, macht mich das systemrelevant?« – Zögernd: »Da bin ich mir nicht sicher, das müssen Sie mit der Kitaleitung klären.« – »Und woher soll die das wissen?« – »In meiner Vorlage steht etwas von Eltern, die in für die Daseinsfürsorge bedeutsamen Berufen tätig sind. Es ist aber nicht definiert, was Daseinsfürsorge umfasst. Tja.« Ich imaginiere, wie sie empathisch mit den Schultern zuckt.
»Sie können Ihr Kind ja bei Oma und Opa unterbringen«, sagt die freundliche Dame als Nächstes. Sekundenlanges, schockiertes Schweigen in der Leitung. Dann: »Oh Gott, Sie vergessen jetzt schnell, dass ich das gerade gesagt habe, ja?«
Langsam finde ich dieses Gespräch richtig unterhaltsam. Die Frau gibt auch nicht auf, obwohl sie ihrer Hilflosigkeit ja deutlich genug Ausdruck verliehen hat. Sie kann es ja auch nicht ändern. Trotzdem scannt sie Verordnungen zum Kinderkrankengeld, liest Beschlüsse zur privaten Kinderbetreuung, versichert mir wiederholt, dass ich nächste Woche jederzeit wieder anrufen kann, wenn die Angaben des Senats deutlicher werden sollten.
Zum Schuss sagt die freundliche Frau: »Jetzt habe ich Ihnen aber doch helfen können, oder? Also, nicht konkret vielleicht, aber immerhin…« Sie versucht nicht, ein Kompliment einzuheimsen, sie meint die Frage ernst, sie will helfen in ihrer ganzen Hilflosigkeit. Ist es so, dass mehr nicht möglich ist in dieser wirren Zeit?
Wie es nun ab Montag weitergehen soll – ich weiß es nicht. Es wird wohl gehen müssen, irgendwie.
QUELLE